jedesK!ND-Kampagnenstratege Bernhard Drumel war Ende August auf Besuch in Parthashaala, einer Krishnamurti-Schule in Tamil Nadu, Indien - hier hat er für uns (und euch) zusammengefasst, was für ihn an dieser Schule so besonders ist.
In diesem Sommer habe ich es endlich geschafft, der Einladung von Gautama, meines geschätzten Kollegen aus dem Vorstand von Greenpeace Indien, zu folgen und seine vielgerühmte Schule zu besuchen: Parthashalaa (Hindu-Wort für Schule).
Gegründet vor vier Jahren als „school of the 21st century“ gemeinsam mit fünf KollegInnen aus einer der renommiertesten Schulen des Landes, der Krishnamurti-Schule in Chennai, 75km südlich von Chennai und ausgebreitet auf ca. 40 ha, beherbergt sie derzeit 75 SchülerInnen in zwei Altersgruppen zwischen 10 und 16 Jahren sowie 12 LehrerInnen , die hier während der Schulzeit acht Monate zusammenleben.
Was macht diese kleine Schule so speziell, ganz abgesehen von der spektakulären Lage und atemberaubenden Sonnenuntergängen?
Nach dem Motto ihres Spiritus Rector, des großen Menschenbildners und Philosophen Jiddu Krishnamurti, hat sie sich im Aufbau, dem Unterricht und der Art des Umgangs miteinander drei wesentlichen Grundsätzen verschrieben:
1. „To understand, is to transform what is“: Die Unterstützung von Kindern zur Entwicklung eines unabhängigen Geistes durch ständiges Herausfordern, sich ihre eigene, klare Meinung zu bilden, diese zu artikulieren und durch das Feedback zu schärfen. Statt Fächerunterricht steht die Frage im Zentrum: „Wie hängt das alles zusammen?“ Statt Informationsvermittlung soll es darum gehen, Information mit Sinn zu versehen.
2. „He who can learn will have an advantage over one who needs to be taught“: Die Lust am Lernen zu fördern, durch LehrerInnen, die mehr fragen als unterrichten, durch ständiges Erproben des Gelernten im Leben und in der Natur (ein Großteil des Essens wird gemeinsam gesät und geerntet), durch Förderung der künstlerischen und handwerklichen Fähigkeiten (Spinnen, Weben, Töpfern, Tanzen, Singen) als essentiellem Teil des Unterrichts. Educators/Learners und Learners/Educators. Oder wie es Gautama ausdrückt: “In some sense, the age of teaching has died, the age of learning and life-long learners has come to age.”
Während die Educator/Learners vor allem für die Atmosphäre, die Fürsorge und die Kreation von Lernformen und-möglichkeiten zuständig sind, sind die jungen Learner/Educators eingeladen, Verantwortung zu übernehmen im täglichen Leben der Schule, Vorschläge zu machen, hin und wieder auch Klassen zu übernehmen und ihre Peers zu unterstützen.
3. Do you know how to be with others constructively? Do you understand your feelings and those of others?
Gautama meint mit einem Augenzwinkern, das in seine Schule gerne „die misfits“ kommen, die Kinder, die im stark hierarchischen traditionellen indischen Schulsystem auf- und rausfallen. Hmh. Dann brauchen wir wohl noch mehr misfits in dieser Welt. In all der Lebendigkeit hab ich selten soviel Respekt und Aufmerksamkeit füreinander erlebt. Angefangen bei einem aktiven Zuhören, das selbst für mich herausfordernd ist bis hin zu einem selbstverständlichen Mitwirkung am Säubern der Küche nach dem Essen. Und dem Fußball, aber dazu später.
Darüber hinaus hat sich Pathashaala ökologisch und weitestgehend energieautonom ausgerichtet (eigenes Solarsystem). Gefällt mir als Weltverbesserer, es ist aber in der Region auch eine Notwendigkeit, autark zu sein und ständiges Licht zu haben.
Natürlich sorgt ein weißer Hüne mit 1,96 m für Aufsehen – als „Anna“ (was wohl soviel wie „Großer Bruder“ heißt) durfte ich also dort drei Tage mittendrin leben (und schwitzen), „Lectures“ halten und an solchen teilnehmen und – die größte Ehre – zweimal mit den Kids Fußballspielen. Und wo lernt man mehr über soziale Systeme als im Spiel?
Ein paar Anekdoten, um das Ganze zu illustrieren:
Ich werde von Sonia, einer Lehrerin, gebeten, einen Impuls in ihrer Gruppe (10-12 Jährige) zu geben zum Thema Werte und Glaubenssätze aus meiner Welt, Mainstream Mittelklasse Europa. Danach entwickelt sich eine lebhafte Diskussion, hin und wieder gibt es aber auch einfach Klärungsfragen wie: „I don’t understand your question, can you clarify?“
Berührend dann am Ende, dass jedes Kind in einer Runde aus sich heraus seinen wichtigsten Wert nennt. Die am öftesten genannten sind Gerechtigkeit, Gleichheit, Offenheit und – Mitgefühl („Compassion“): ein Schritt über die westliche Aufklärung hinaus.
Am nächsten Tag dann mit Gautama in seiner ‘Cultural Session’ mit den 14-16 Jährigen, wo alles besprochen werden kann, was als wichtig empfunden wird. Dieses Mal das Thema „Armut“ (weil nächste Woche ein dreitägiger Trip durch die Armenviertel der herumliegenden Dörfer geplant ist). Die SchülerInnen haben Aufsätze vorbereitet – viele sind sehr analytisch und abstrakt in ihren Antworten. Gautama fordert sie heraus: „Was hat das Thema mit euch persönlich zu tun? Kennt ihr die Namen der Menschen, die in unserer Küche arbeiten? Habt ihr sie beim Essen schon einmal zu eurem Tisch eingeladen? Was empfindet Ihr als eure Verantwortung?“
Und dann das interessante soziale Experiment: Fußball. Donnerstag, 6.30 in der Früh (Premiere für mich) sind zwei Stunden für „Games“ reserviert (Cricket, Frisbee, Basketball und am populärsten – kaum zu glauben – Fußball). Also, ca. 35 Kinder zwischen 9 und 16 Jahren auf einem Platz, ungefähr halb so groß wie ein normales Fußballfeld. Keine Erwachsenen (außer mir und ich bin „normaler“ Mitspieler), also quasi ein selbstregulierendes System. Einigung auf 10 Spieler pro Team am Feld und ca. 7 Ersatzspieler pro Team, die alle 10 Minuten wieder gewechselt werden.
Also, da wo ich herkomme, wären die Großen drinnen geblieben und die Kleinen ein- zweimal gnadenhalber reingeholt – oder gleich heimgeschickt worden. Das Wunder: Das Spiel läuft über die gesamten 100 Minuten reibungslos ab. Natürlich mit Diskussionen, aber ohne die Aggression, die mir nur allzu bekannt ist in diesen Situationen. Einmal weint ein Kleiner still, weil er schon das dritte Mal draußen ist und gleich kommt ein Großer und wechselt mit ihm. Und als ich mal zwischendrin Siddharta, meinen 10-jähigen Libero (ich stehe im Tor) frage, wie es denn so steht, schaut er mich an und sagt: „Wir zählen nicht, es geht um Spaß und nicht ums Gewinnen“. Touché
(P.S: ich habe natürlich mitgezählt – so leicht kriege ich das nicht raus...).
Als ich Gautama frage, was die AbsolventInnen der Schule auszeichnet, sagt er (und bezieht sich auch auf die Krishnamurti-Schule in Chennai): „Our students are well known as bold individuals with an independent mind and a talent to provide unusual solutions“. Ein paar davon habe ich persönlich bei Greenpeace schätzen gelernt, viele andere, habe ich von ihm gehört, haben sich im Wirtschafts- oder anderen Biotopen behauptet.
Am ersten Abend, wenn die SchülerInnen nach dem Abendessen gemeinsam im Dunkeln zu ihren Schlafquartieren aufbrechen, jede und jeder ausgestattet mit einer Taschenlampe, nimmt mich Gautama aufgeregt zur Seite: „Look, the dance of the fireflies. I wait for this every night.“
Ein klein wenig Erleuchtung davon durfte ich mitnehmen, zurück in meine Welt…
Jiddu Krishnamurtis Verständnis von Bildung, praktiziert in seinen Schulen wie Pathashaala, in seinen Worten:
‘The purpose, the aim and drive of these schools, is to equip the child with the most excellent technological proficiency so that the student may function with clarity and efficiency in the modern world.
A far more important purpose than this is to create the right climate and environment so that the child may develop fully as a complete human being. This means giving the child the opportunity to flower in goodness so that he or she is rightly related to people, things and ideas, to the whole of life. To live is to be related. There is no right relationship to anything if there is not the right feeling for beauty, a response to nature, to music and art — a highly developed aesthetic sense.
I think it is fairly clear that competitive education and the development of the student in that process is very, very destructive. We must be very clear in ourselves what we want – clear that a human being must be the total human being, not just a technological human being. If we concentrate very much on examinations, on technological information, on making the child clever, proficient in acquiring knowledge while we neglect the other side, then the child will grow up into a one-sided human being.
When we talk about a total human being, we mean not only a human being with inward understanding, with a capacity to explore, to examine his or her inward state and the capacity of going beyond it, but also someone who is good in what he does outwardly. The two must go together. That is the issue in education: to see that when the child leaves the school, he is well- established in goodness, both outwardly and inwardly.’